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Was Digital Marketer von der SARS Epidemie in China über die neue Normalität lernen können

geschrieben von 5 Minuten zum Lesen

Um sich in der neuen Normalität zurechtzufinden, können Marken einen Blick auf die Entwicklung der chinesischen Digitallandschaft nach der SARS Epidemie werfen

Die Ansichtsweisen unserer Gesellschaft in Bezug auf die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie könnten unterschiedlicher nicht sein. Während die einen sagen: „Nichts wird wie es einmal war“, meinen die anderen: „Früher oder später wird alles wieder normal werden“.

Doch was wird denn nun als nächstes passieren? Zwar können wir keinen Blick in die Glaskugel werfen, aber nichtsdestotrotz können wir die Ereignisse ähnlicher Situationen in der Welt und deren langfristige Auswirkungen betrachten.

Der Schutz der digitalen Marketingblase

Fast schon wie unter einer schützenden Käseglocke waren wir in unserer digitalen Marketingblase während des Lockdowns so gut wie unantastbar. Dass die Pandemie die Kunden von heute auf morgen in den digitalen Raum trieb, kam uns zu Gute. Denn plötzlich mussten Verbraucher ihre Produkte über Online-Shops bestellen und durch die Knappheit einiger Artikel auch bei bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten kleinen Händlern shoppen. Dadurch bescherten sie Online-Händler jeder Größe ein deutliches Wachstum. Bis heute mag diese Blase ein sicherer Ort für Digital Marketer gewesen sein – doch wird sie angesichts der hart getroffenen Travel-Branche und der Wiedereröffnung der Geschäfte bald platzen?

Von turbulenten Sektoren zu florierenden Nischenmarken

Während der Pandemie habe ich die Trenddaten des Awin Netzwerkes detailliert unter die Lupe genommen und die Landschaft, die mein Team und ich vorfanden, war mehr als turbulent. Unsere anfänglichen Besorgnisse konnten wir jedoch bald verwerfen als wir sahen, wie kleinere Online-Marken florierten. Denn die Kunden saßen Zuhause fest, aber wollten oder konnten nicht auf das Shoppen verzichten. Von der Büroausstattung über Saatgut bis hin zu Freizeitbekleidung – das Internet war da, um es ihnen zu bieten.

Awin erlebte in dieser Zeit weltweit einen enormen Aufschwung in Nischen-Subsektoren und beobachtete eine Diversifizierung der Advertiser mit einer 5 Prozentigen Verschiebung der Provisionen von Marken zu KMUs. Die Travel-Branche verlor den Großteil ihrer Einnahmen, da Reiseverbote verhängt wurden, während Lieferdienste das Volumen der Spitzenwerte vom Valentinstag übertrafen. Die Telco-Branche  verzeichnete anfänglich ein Hoch, das aber schnell wieder abklang. Währenddessen registrierte der Bereich Health & Beauty einen anhaltenden Aufschwung von bis zu 70 Prozent. Auch die Industrie Home & Garden boomte, ebenso wie der Elektrosektor. Denn Verbraucher statteten sich mit zweiten Kühlschränken und Geräten für das Home Office aus. Den virtuellen Catwalk führte die Sportartikel-Industrie an, da die Sales von Sportbekleidung in die Höhe schnellten.

Shopping-Revolution in China

Doch die Frage, die sich stellt, ist: „Wie geht es jetzt weiter?“. Tatsächlich gibt es ein Ereignis im 21. Jahrhundert, an dem wir uns orientieren können, um zu verstehen, wie uns diese Pandemie-Trends in Zukunft beeinflussen werden: die SARS Epidemie in China. 2003 löste das Virus in der Volksrepublik eine regelrechte Shopping-Revolution aus und führte dazu, dass China bis heute weltweit führend im Online-Handel ist. Schätzungen zufolge werden sie im Jahr 2020 sogar die USA als größten Online-Einzelhandelsmarkt überholen – mit 41 Prozent aller Verkäufe, die online stattfinden (eMarketer).

Doch wie ist es dazu gekommen? In 2003 war das Internet ein ganz anderer Ort als der, den wir heute kennen. In China war JD.com eine kleine Kette mit 12 Geschäften, die eine eCommerce-Website eingerichtet hatte. Die SARS Epidemie zwang den Gründer, Richard Liu, alle Stores - bis auf einen - zu schließen und sich auf den Verkauf von Produkten über die Website zu konzentrieren. Um mehr Aufmerksamkeit und Reichweite für sein Business zu bekommen, schrieb er in Chatrooms und Foren Beiträge. Nach besonders großem Interesse der User auf dem Forum CNbest ging er eine Affiliate-Partnerschaft mit diesem ein. Die Kombination aus der gestiegenen Online-Nachfrage aufgrund der SARS Epidemie und der frühen Nutzung des Affiliate-Kanals verschaffte JD.com so großen Erfolg, dass sie heute einer der größten chinesischen Umsatztreiber im Online-Business sind.

Alibaba hatte eine ähnliche Reise. Sie waren zwar bereits etabliert als die SARS Epidemie kam, aber ihre Verkaufszahlen stiegen in 2003 dennoch um 50 Prozent. Im selben Jahr launchte Alibaba außerdem die Shopping-Plattform Taobao, die nur zwei Jahre später Ebay überholte und zur Nummer eins der Online-Marktplätze in China wurde.

Eines ist jedoch erstaunlich: Obwohl die Volksrepublik in dem damaligen Epidemie-Jahr zum größten Einzelhandelsmarkt der Welt heranwuchs, sind ihre Gesamtwerbeausgaben nur halb so groß wie in den USA. Das chinesische Online-Wachstum seit SARS ist daher nicht auf die Werbeausgaben oder einen spezifischen Faktor zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Fülle an ständigen Innovationen und eine Kultur, die Veränderungen gern annimmt.

Für 2020 wird geschätzt, dass 88,3 Prozent der Internetnutzer in China einen Online-Kauf tätigen und 41,2 Prozent aller Einzelhandelsumsätze online abgewickelt werden. Chinesische Verbraucher ziehen es zunehmend vor, den Großteil ihrer Einkäufe online zu erledigen und bei verschiedenen Retailern zu shoppen – selbst bei Giganten wie JD.com und Alibaba.

 

Worauf ist die schnelle Adaption des chinesischen eCommerce zurückzuführen?

In China liegen Benutzeroberflächen im Mittelpunkt, denn mit ihrem Fokus auf Nutzerfreundlichkeit sind diese weltweit führend. Der Grund dafür: Sie machen es dem Kunden so einfach wie möglich online einzukaufen. Innovationen, die das Nutzungsverhalten vorantreiben, sind zum einen die digitale Zahlungslösung, die in China einzigartig ist und die es den ersten Online-Adaptern enorm erleichterte, Online-Käufe abzuschließen. Zum anderen macht der Mobile First Ansatz einen gewaltigen Unterschied. Denn mehr als 80 Prozent des eCommerce werden über Mobiltelefone abgewickelt (Tenba). Was ist also der Grund für die schnelle Adaption des chinesischen eCommerce? Was Kunden in China erwarten, bekommen sie auch: Einfachheit und Innovation. Und das wiederum kurbelt das Wachstum der Online-Retail-Industrie weiter an.

Kundenerwartungen erfüllen - das ist der Schlüssel zum langfristigen eCommerce-Erfolg

Die SARS Epidemie hat das digitale Wachstum Chinas angekurbelt, aber sie ist sicherlich nicht der einzige Faktor für Chinas Online-Erfolg. Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen und müssen das Online-Wachstum weiter pushen. Denn wir können nicht davon ausgehen, dass das Niveau, das wir in der aktuellen COVID-19 Pandemie beobachten, langfristig gehalten werden kann. Kunden wollen Dinge und sie wollen sie schnell und einfach. Wenn das Internet diese Erfahrung nicht bieten kann, dann werden es viele bevorzugen, weiterhin in ihren lokalen Geschäften einzukaufen.

Während die Blase des digitalen Marketings derzeit noch nicht zu platzen droht, ist die Welt in den letzten Monaten trotzdem ziemlich auf den Kopf gestellt worden. Auf so viele Weisen haben sich Gemeinschaft und Verbundenheit als notwendig und lebendig erwiesen – und auf genauso viele Weisen haben wir erlebt, dass sie schnell niedergerissen werden können.

Als ich meiner vierjährigen Tochter auf einem unserer täglichen Spaziergänge erklärte, was eine Telefonzelle ist, schaute sie mich erstaunt an: „Du meinst, dass Leute früher das Haus verlassen und zu einer kleinen Box gehen mussten, um jemanden anzurufen - und das nicht einmal mit einem Bild?“ Wir sind eine anpassungsfähige Spezies und die neue Normalität wird genau das sein: die neue Normalität.